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>Kalkül
Der Formalismus
Mathematik gilt als
Sprache der Naturwissenschaft, in der sich die Gesetze von Raum
und Zeit formulieren lassen.
Für Kant sind
mathematische Sätze "synthetische Urteile a priori" - also
denknotwendig. Durch die Entdeckung der nichteuklidischen
Geometrie, bzw. der Quaternionen musste sich diese Einstellung
ändern. Durch die Mengenlehre und deren Axiomatik sind Paradoxien
aufgetreten, welche dazu bewogen haben, sich eingehend mit den
Grundlagen der Mathematik zu beschäftigen. Es war notwendig, sich
von der ontologischen Basis zu lösen, nicht mehr zu sagen was
mathematische Entitäten sind, sondern nur was man mit ihnen machen
kann.
Der Formalismus sieht die
Mathematik als ein Kalkül, in dem man mit einer geeigneten Sprache
ein Axiomensystem formulieren kann. Ausgehend von diesem
Axiomensystem kann man durch eindeutig festgelegte (logische)
Schlussregeln zu Begriffen und Aussagen gelangen. Ein Beweis ist
nicht ein intuitiv nachvollziehbarer Gedankengang, sondern die
Rückführung des zu Beweisenden auf die Axiome.
Für Hilbert gibt es in der
Mathematik kein "ignorabimus", d.h. es besteht der Anspruch, dass
die Mathematik "wahrheitsdefinit" ist.
Durch die Einstellung des
Formalismus hat sich auch die Einstllung zur Aufgabe, welche der
Mathematik zukommt geändert. Die Mathematik liefert nicht
Erklärungen, sondern nur mehr Modelle. Durch die Formalisierung
läuft man Gefahr, die inhaltliche Bedeutung zum Teil oder ganz zu
verlieren und Mathematik nur als sinnleeres Spiel mit
irgendwelchen Symbolen zu verstehen. Andererseits wurden durch den
Formalismus gewisse Begriffe erst zugänglich. Man denke nur an den
Begriff der offenen Menge, der Metrik von Frèchet, des
topologischen Raumes von Hausdorff usw. Die Formalisierung bewirkt
darüber hinaus eine Exaktifizierung mathematischer Aussagen,
wodurch subjektive Irrtümer und Missverständnisse vermieden werden
können.
Axiomatische
Philosophie
Sehr stark war der
Einfluss des Formalismus auch auf die Philosophie. Seit jeher
nimmt die Mathematik in der Philosophie eine Sonderstellung ein.
Schon Platon wie auch Kant verwenden die Mathematik als
Propädeutik für die Metaphysik. Durch den Formalismus erfährt
diese Haltung eine radikale Änderung. Die Euklidische Geometrie
ist nicht denknotwendig, sondern die Beschreibung eines Modells.
Die Existenz von mathematischen Objekten ist gleichzusetzen mit
ihrer widerspruchslosen Beschreibbarkeit. Auf die Philosophie
angewendet bedeutet dies, dass Metaphysik nicht denknotwendig ist,
dass philosophische Begriffe, welche sich aus gewissen
Grundannahmen logisch folgern lassen, sinnleer sind.
Wittgenstein hat versucht
die Sprache, die Philosophie zu kalkülisieren. Der Wiener Kreis um
Wittgensten, Schlick, Neurath, Gödel usw. hat den "Logischen
Empirismus" wie ein Kalkül aufgebaut.
"Jede Erklärung muss fort
und der Beschreibung weichen."
Bei der Anwendung der
axiomatischen Methode auf die Philosophie ergibt sich ein
grundlegendes Problem, nämlich was man als Grundannahmen gelten
lässt und welches Regelwerk man festsetzt. Bereits unter den
Mitgliedern des Wiener Kreises hat es darüber Differenzen gegeben.
Man kann in der Philosophie nicht auf jegliche inhaltliche
Interpretation verzichten und Philosophie als sinnleeres Spiel
ohne Realitätsbezug betreiben. Diese Frage ist besonders in Bezug
auf die Ethik relevant. Während noch bei den Epikureern, bei Kant
oder im Christentum die Instanz der Ethik klar festgelegt ist,
könnte man sich aus der Sicht der axiomatischen Philosophie eine
Art Spielethik vorstellen.
Reduziert man wie Hilbert
die Wissenschaft auf Mathematik, dann wären Philosophie, Ethik,
Rechtslehre keine Wissenschaften. Dementsprechend wäre Metaphysik
schon gar keine Wissenschaft.
Nach Wittgenstein kann man
zu Antworten, welche man nicht mittels eines sinnvollen Satzes
ausdrücken kann, auch die Frage nicht aussprechen. Für ihn gibt es
gar keine philosophischen Sätze, sondern nur eine bestimmte
philosophische Tätigkeit, nämlich die einer logischen Klärung der
Gedanken. Trotzdem gibt es für ihn das Unaussprechliche.
Der Formalismus und dessen
Auswirkungen auf die Philosophie haben auch die Einstellung zur
Religion beeinflusst. Es lassen sich durchaus Parallelen zwischen
Axiomatik und Dogmatik erkennen. Die verschiedenen Religionen sind
eben die Beschreibung von "Gottmodellen", so wie die verschiedenen
Axiomensysteme mathematische Modelle beschreiben. Man kann an den
Dogmatismus glauben oder nicht. Rein formal lässt sich allerdings
durchaus auf eine metaphänomenale Welt schließen, man weiß aber
nichts über die Entsprechungen mit der phänomenalen Welt. Wer will
aber an etwas "Göttliches" glauben und dabei von jeglicher
Gottgestalt abstrahieren.
Es stellt sich also
grundsätzlich die Frage, inwieweit die axiomatische Methode
geeignet ist, auf wissenschaftliche Theorien und nicht zuletzt auf
persönliche Grundfragen angewandt zu werden
Der heilige Augustinus
sagt: "Die Mathematiker stehen mit dem Teufel im Bunde"..
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